Donnerstag, 27. Dezember 2012

Zuhause bei Jungle Vi.Ai.Pi : Zwei Schwestern, ihr Haus und ihre Taschen

Fast am Ende der langen Straße Perú, die sich vom Zentrum von Buenos Aires bis in den südlichen Stadtteil Barracas erstreckt, befindet sich ein altes portensisches Stadthaus mit steinernem Balkon und Stuckverzierungen, wie es immer noch viele in der argentinischen Hauptstadt gibt. Zwei schwarze Türen in der hell getünchten Fassade bilden die Eingänge zu zwei verschiedenen Wohnungen - eine im unteren Teil des Hauses, eine im oberen. Das Haus gehört zwei jungen britisch-argentinischen Schwestern, Chelsey und Felicitas Henderson. Während meines Aufenthalts in Buenos Aires wohnte ich bei Chelsey, der älteren, in der oberen Wohnung.

 Elegant in schwarz-weiß: der kleine Kater Serafin
Das Haus hat nicht nur aufgrund seines Alters Charme. Seine Anlage und vor allem auch seine Einrichtung bringen jeden, der es betritt, in Verzückung. Die Wohnräume sind im Quadrat um einen Innenhof angelegt, der im Sommer schön kühl bleibt und in dessen von hohen grünen Gewächsen umgebenem Brunnen ein munterer Wasserstrahl plätschert. Auf den schachbrettartigen Fliesen macht der kleine weiße Kater Serafin Jagd auf Grashalme und Spinnen und blickt zwischendurch mit seinen kugelrunden, grünen Augen in das quadratische Stück Himmel über seinem Kopf oder zu den Fenstern der oberen Wohnung. Von dieser hat man zwar keinen Zutritt zum Patio, dafür gibt es hier eine Dachterrasse, die Chelsey in eine grünende und blühende Oase verwandelt hat und die den Blick über das umliegende Meer aus Dächern und Häuserblocks freigibt.

Die Wohnräume selbst zeugen vom sicheren Geschmack der Henderson-Schwestern: große Gemälde an den hohen Wänden, lange Holztische, an denen man arbeiten oder gemütlich mit Freunden zusammensitzen kann, bemalte Kommoden, alte, stoffbezogene Stühle, bunte Teppiche über den Holzdielen, Grünpflanzen in den Ecken und zart duftende Blumensträuße auf den Tischen. 

Morgensonne im Wohnzimmer
Ihren guten Geschmack und ihre Freude am Arrangieren haben sich die beiden Schwestern zum Beruf gemacht: Seit ein paar Jahren designen sie Handtaschen, die sie in einem eigens eingerichteten Ausstellungsraum, dem "showroom", in Chelseys Wohnung präsentieren. Durch das hohe Fenster scheint morgens die Sonne und taucht das Zimmer in ein warmes Licht. Ein abgewetztes Zebrafell ist über den Holzboden gebreitet, das die britischen Großeltern einst aus Afrika mitgebracht hatten und an dem die Kater der Schwestern auch gern mal die Krallen wetzen. In einer Vitrine mit Glastüren und auf zwei langgestreckten Regalen reihen sich die Taschen in allen Größen und Farben. 

Während ich in ihrem Haus wohnte, erlebte ich hautnah den Arbeitsalltag der zwei Designerinnen mit - ich beobachtete, wie Chelsey mit Acrylfarben Modellzeichnungen anfertigte, wie sie und ihre Schwester über die fertigen Modelle diskutierten, mit Lieferanten telefonierten oder Kunden im "showroom" empfingen. Es gab entspannte Tage, an denen die Schwestern mittags in Ruhe kochen und gemeinsam essen und sich um den Haushalt kümmern konnten. An anderen Tagen brach die Hektik aus: Chelseys Handy klingelte pausenlos, Pakete mussten abgewogen und verschickt oder mit Interessenten verhandelt werden. 
Modellskizze mit Lederproben

Einmal wurden im Showroom und im angrenzenden Wohnzimmer Möbel gerückt und Pflanzen arrangiert, das Bad wurde zum Schminkzimmer umfunktioniert, fremde Menschen liefen hin und her und laute Stimmen hallten durch das ganze Haus: ein Fotoshooting. Passend zum Markenname Jungle Vi.Ai.Pi präsentierte ein Model die Taschenkollektion im Dschungelstil. Mitsamt den Taschen räkelt sich und sitzt die junge Frau zwischen dschungelhaft anmutenden großblättrigen Pflanzen; eines der Fotos hängt inzwischen über einer Kommode im "showroom".


Doch lässt sich mit den Clutches, Shoppern und Schultertaschen tatsächlich Geld verdienen, wo finden die Schwestern ihre Kunden, wie funktioniert überhaupt ihr Geschäft?
Als ich mich mit Chelsey gegen Ende meines Aufenthalts in Buenos Aires darüber unterhielt, sie interviewte, erzählte sie mir zuerst einmal, wie alles angefangen hat:
"Im Jahr 2009 haben wir begonnen, Taschen zu designen. Während eines Urlaubs in Salta [im Norden Argentiniens, Anm.] entdeckten wir eine kleine Gerberei, die Ziegenleder verarbeitete, ganz rustikal. Wir waren sofort davon angetan und so fingen wir an, eigene Taschen aus Leder herzustellen. Das war zuerst mehr ein Hobby, wir entwarfen Taschen für Freundinnen."
Doch aus dem anfänglichen Hobby wurde bald Ernst. Durch die Wirtschaftskrise in den USA verloren Chelsey und Felicitas, die beide für US-amerikanische Unternehmen gearbeitet hatten, ihre Jobs. In der Not machten sie ihr neues Hobby zum Beruf - und verdienen damit mittlerweile erfolgreich ihr Geld. Felicitas, die früher als Modedesignerin gearbeitet hat, ist der kreative Kopf des Zwei-Frau-Unternehmens. Sie habe viele tolle Ideen, erzählt Chelsey, sie stehe für den coolen, eigenwilligen Stil der Marke Jungle Vi.Ai.Pi. Dabei ergänzen sich die Schwestern sehr gut: Während Felicitas für neue Entwürfe verantwortlich ist und der Marke ihr Gesicht gebe, kümmert sich Chelsey verstärkt um die Büroarbeit, zieht die Fäden im Hintergrund. 

"Ich arbeite gern mit meiner Schwester zusammen", sagt die junge Frau mit den haselnussfarbenen Augen. "Für mich ist das ideal, wir ergänzen uns gut und können auch mal Kritik üben und offen über Ideen diskutieren, ohne dass es zu einem Bruch kommt. Mit einem Geschäftspartner, der nicht zur Familie gehört, wäre das sehr viel schwieriger."

Was ist die Besonderheit eurer Taschen?, fragte ich Chelsey. Ob es vielleicht ein Lieblingsmodell gäbe, dass sie mir zeigen könnte?
"Das gibt es", sagt Chelsey und führt mich in den Ausstellungsraum,  über dessen gesamte Längswand zwei weiße Regalbretter verlaufen, auf denen die Handtaschen ausgestellt werden. Chelsey zeigt mir eine lederne Clutch, die der Länge nach schwarz und beige gestreift ist und von einer großen, rosafarbenem Schleife aus weichem Leder geziert ist. "Dieses Modell, Isabella, ist sozusagen unser Markenzeichen. Isabella taucht immer wieder in unseren Kollektionen auf, mit verschiedenen Farben und Materialien, aber das Grundprinzip bleibt."

 Die Isabella-Clutch

Da in Argentinien in erster Linie größere Taschen, aber kaum clutch bags hergestellt werden, haben die Henderson-Schwestern eine Nische gefunden und stehen vor allem für schicke und raffinierte Clutches. An diesen wie an all ihren Taschen wird ihre Grundidee, der Leitgedanke ihrer Marke, deutlich:

"Weil wir Argentinierinnen mit englischen Wurzeln sind (unser Vater ist Argentinier, unsere Mutter Engländerin), wollen wir auch in unseren Taschen diese anglo-argentinische Kombination zum Ausdruck bringen", erzählt die junge Designerin. "Wir kombinieren eher rustikales Leder, für das Argentinien berühmt ist, mit europäischer Raffinesse, mit Verzierungen, Bordüren, feinen Stoffen." Durch solche Details werden die Taschen zu echten Hinguckern. 


Die oft farbenfroh gestalteten und extravaganten Modelle werden in einigen Boutiquen in Buenos Aires, vor allem aber im Inneren Argentiniens verkauft oder nach Übersee - Tokio, Amsterdam, Paris - geliefert. Durch Mund-zu-Mund-Propaganda sind die Schwestern mit ihren Taschen bekannt und erfolgreich geworden. Ein kleiner Artikel im englischsprachigen Time Out-Magazin bringt ihnen seit Kurzem verstärkt wohlhabende amerikanische Kunden und "personal shoppers".

Die selbstentworfenen, mit viel Hingabe gestalteten Taschen der Schwestern Henderson stehen für junges argentinisches Design - kreativ, gewitzt und zugleich traditionsbewusst auf argentinisches Leder zurückgreifend. Noch ist Jungle Vi.Ai.Pi. ein echter Shopping-Geheimtipp, eine Perle für Taschen- und Design-Liebhaber, verborgen in einem alten portensischen Stadthaus.

Serafin und Abdul, die Kater der Schwestern


Facebook:  Jungle Viaipi

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