Montag, 19. November 2012

Kunst und Krempel in La Boca

Vom verrufenen Hafenviertel zum Touristenmagnet: Der Stadteil La Boca im Südosten der Capital Federal Buenos Aires ist mittlerweile gesellschaftsfähig geworden - statt Matrosen und Messerstechern besuchen heutzutage Touristen und Kunstfreunde das Viertel. Genauergesagt eine bestimmte Zone von La Boca, den sogenannten "Caminito", den "Kleinen Weg". 


Eine etwa 100 Meter lange, schmale Straße unweit der imposanten eisernen Brücke Puente Transbordador am Fluss Riachuelo hat 1959 offiziell den Namen "Caminito" erhalten, benannt nach einem berühmten Tango, und wurde zu einem Museum unter freiem Himmel. Künstler des Viertels fertigten Wandreliefs und Standbilder an, die typische Szenen und Menschen aus dem alten La Boca zeigen: Tangotanzende Paare, Hafenarbeiter, Matrosen… 

Die ehemaligen Mietshäuser, conventillos genannt, sind schreiend bunt bemalt und machen die besondere Anziehungskraft des Viertels aus. Die Farbenpracht soll dem Einfluss des Malers Benito Quinquela Martín geschuldet sein, dem berühmtesten Sohn und Wohltäter des Viertels. Auch die an den "Caminito" angrenzenden Straßen sind von blauen, gelben oder roten Häuschen gesäumt, in denen sich hauptsächlich Cafés oder Touristenläden mit den immer gleichen Argentina-T-Shirts, Lederwaren oder Matebechern befinden. Sobald man diese farbenfrohe Szenerie verlässt und weiter ins Innere von La Boca vordringt, findet man ein authentisches,  immer noch ärmliches portensisches Stadtviertel vor. Zu weit sollte man sich aber nicht vom "Caminito" fortwagen, denn noch heute hat La Boca einen schlechten Ruf. 

In den alten Tangotexten, in Gedichten und Romanen der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts taucht das Hafenviertel immer wieder als Hort von messerbewehrten Schurken, Prostituierten, Rauf- und Trunkenbolden  auf. Diese Klientel hat sich längst verabschiedet, am "Caminito" geht es heute zivilisiert zu, auch wenn sich hier immer noch viele Halsabschneider herumtreiben, die den Touristen das Geld aus der Tasche ziehen möchten. Für Bares kann man hier nicht nur allerhand Krempel und Krimskrams erwerben, es gibt auch die Möglichkeit mit Tangopaaren oder lebenden Statuen fürs Foto zu posieren oder sich selbst als Tangotänzer ablichten zu lassen.

Mitten in diesem bunten Getümmel befindet sich ein Gebäude, das so gar nicht hierher zu passen scheint: Die Fundación PROA, eine Kunststiftung, die in einem schicken Bau mit Glasfassade Ausstellungen moderner Kunst beherbergt. Über breite Treppen und an großen Fenstern vorbei schreitet man zum Café der Galerie, von dessen Terrasse aus man das Hafenbecken Vuelta de Rocha und die bunten Stände der Straßenverkäufer überblicken kann. Im Hintergrund erhebt sich dunkel die massige Eisenbrücke und Verkehr rast in der Ferne über die Autobahn.
Derzeit stellt die PROA Werke von Alberto Giacometti aus, eine beeindruckende Schau quer durch das Lebenswerk des Schweizer Künstlers, angefangen bei seiner Femme cuillere bis hin zum Homme qui marche. Kunstliebhaber spazieren durch die kühlen Ausstellungsräume, während draußen touristischer Trubel herrscht, untermalt von Tango-Klängen und Candombe-Trommeln.


Touristenparadies:




Kunst am Caminito:



Diego Maradona darf natürlich auch nicht fehlen


 Abseits des großen Trubels, eine stillgelegte Bahnstrecke:




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