Samstag, 6. Oktober 2012

Evita, Gardel und das Tortoni - Drei portensische Größen

Heute kann ich wieder ein paar Punkte auf meiner "Unbedingt machen/anschauen"-Liste abhaken. Mit meiner Freundin Simone habe ich das Museo Evita, das Museo Casa Carlos Gardel und das Café Tortoni besucht, drei Orte, die Einblicke in den Glanz längst vergangener Zeiten gewähren und zugleich eine tragende Rolle in der portensichen Mythenbildung spielen.

1. Evita
Im Evita-Museum in der Straße Lafinur 2988 erzählen unzählige Ausstellungsstücke - Fotos, Kleidung, Accessoires, Bücher, Filmausschnitte - vom Leben der María Eva Duarte de Perón, der wohl weltweit bekanntesten Argentinierin. Zwischen ihrer Geburt im Jahr 1919 und ihrem frühzeitigen Tod 1952 war Evita, wie sie bis heute genannt wird, uneheliche Tochter, Model, Schauspielerin, Radiomoderatorin, Frauenrechtlerin, "Königin der Armen" und vor allem: Präsidentengattin. An der Seite von Juan Perón stieg die junge Frau aus einfachen Verhältnissen und mit nicht unumstrittenem Vorleben zur einflussreichsten Frau des Landes auf, geliebt von den Mittellosen, gehasst von der Elite. 

Die Ausstellung enthält sich jeglicher (kritischer) Kommentare zu Evitas Persönlichkeit, ihrem politischen Einfluss und der Bildung ihres Mythos. Wie es in meinem Reiseführer heißt, wartet das Museum "mit einer umfangreichen Dokumentation und vor allem mit viel Pathos auf.Die dunklen Seiten Evitas und ihrer selbstgefälligen Herrschaft sucht man hier vergebens" (Maike Christen, City Trip Buenos Aires, S. 99). 
Doch man muss nur ein wenig genauer hinsehen und man kommt nicht umhin, in Evita eine gute Schauspielerin zu erkennen. Auf der Leinwand war sie vielleicht wenig erfolgreich - im Leben aber spielte sie sich gekonnt zur Legende hoch, eine Mischung aus Diva und Heiliger. Ihre stilsicheres Auftreten, ihr blondgefärbtes Haar, ihr stetiges Lächeln und ihre Selbstdarstellung als loyale Gattin des Präsidenten trugen sicherlich zu ihrem Zauber bei, ebenso ihre sozialen Bemühungen (Errichtung von Feriendörfern für Kinder, Gründung von Übergangszeiten für mittellose Frauen, Einsatz für die Descamisados, die "Hemdlosen"…). Zugleich fragt man sich, wer denn wirklich hinter dieser glanzvollen Fassade, hinter diesem strahlenden Lächeln steckte. 

Eine Auswahl von Evitas Kleidern und Hüten

Doch Evita scheint alles richtig gemacht zu haben - schließlich wird sie bis heute verehrt und ihr Konterfei ziert zahlreiche Hauswände, Buch- und Filmtitel oder auch die Fassade des argentinischen Gesundheitsministeriums an der Av. 9 de Julio. Sogar ihren Tod hätte sie nicht besser planen können: Am 26. Juli 1952 starb Evita mit nur 33 Jahren an Krebs. Spätestens jetzt wurde sie zur unsterblichen Legende.
Eingangshalle des Museums
 Santa Evita - Heilige Evita: 
Links wird sie (die zeitlebens Kinderlose) als liebende Mutter ihres Volkes dargestellt ("Liebe wird mit Liebe bezahlt"), rechts wird sie gar zur Heiligen Jungfrau Maria hochstilisiert.


2. Carlos Gardel
Eine portensisch-argentinische Legende ganz anderer Art war und ist Carlos Gardel. Als unehelichem Sohn einer französischen Wäscherin ist ihm gelungen, wovon unzählige Einwanderer Anfang des 20. Jahrhunderts geträumt haben: der soziale Aufstieg, das Erlangen von Ruhm und Erfolg. Geboren im französischen Toulouse im Jahr 1890 kam der dreijährige Carlos (damals noch Charles Gardès) mit seiner Mutter nach Buenos Aires und wuchs dort im Viertel Abasto nahe dem großen Obst- und Gemüsemarkt der Stadt auf. 

Hier befindet sich heute auch das Museum "Casa Gardel" - ein typisches portensisches chorizo-Haus (schmal und langgestreckt wie eine chorizo, eine Wurst), in dem Gardel und seine geliebte Mutter Berthe 6 Jahre lang gewohnt haben. Die Ausstellung zeigt unzählige Gegenstände aus Gardels Besitz (ein Grammophon, eine Schreibmaschine, Fotografien, ein Klavier…), Zeitungsausschnitte, Plakate u.v.m.
Gardels Gesangskarriere begann an der Seite von José Razzano, 1917 trennte sich das Duo und Gardel spezialisierte sich auf den Tango, durch den er weltberühmt wurde. Nicht nur als Sänger, sondern auch als Schauspieler in den frühen Tonfilmen machte er sich einen Namen - natürlich sang er auch hier regelmäßig einen seiner Tangos.


Wie Evita starb auch Carlos Gardel plötzlich und auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Während seiner Lateinamerikatour 1935 kamen er und seine Begleiter bei einem Flugzeugzusammenstoß in Kolumbien ums Leben. Und wie Evita wurde der "König des Tangos" nun erst recht zum Mythos und ist aus Buenos Aires nicht mehr wegzudenken: seine Stimme schallt heute aus Cafés und Hauseingängen, sein Konterfei ziert die Wände zahlloser Cafés, Restaurants und Häuser und am Sonntagsmarkt in San Telmo tritt sein Double mit Gardel-Hut und Gardel-Musik im CD-Player auf (s. Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte... ).


Hörprobe: 
Melodía de arrabal (Melodie der Vorstadt)


Carlos Gardel vor den ehemaligen Markthallen von Abasto, heute eine gigantische Shoppingmall




3. Café Tortoni
Auch das Café Tortoni hätte heutzutage mehr den Namen "Museo Tortoni" denn Kaffeehaus verdient. Einen echten Porteño, gar einen Schriftsteller oder Musiker, wird man hier nicht mehr antreffen. Das Tortoni, einst Lieblingslokal der geistigen Elite des Landes, ist mittlerweile zum Touristentreff verkommen. Aber noch immer ist es von der Aura vergangener Zeiten umgeben.  
Betritt man das altehrwürdige Café, in dem Literaten wie Jorge Luis Borges, Federico García Lorca oder Alfonsina Storni verkehrten, findet man sich in einem typischen Kaffeehaus des frühen 20. Jahrhunderts wieder: verspiegelte Wände, stämmige rote Säulen, eine Deckeneinlassung aus buntem Glas, eine langgezogene hölzerne Bar. Im hinteren Bereich befinden sich zwei kleinere, abgetrennte Räume voll alter Fotos und Erinnerungen. Dort trifft man auch in einer Ecke drei der berühmtesten Stammgäste des Tortoni an - aus Pappe sitzen und stehen hier Borges, Storni und Carlos Gardel und warten auf den nächsten Fototermin mit Touristen.


Typisches Getränk im Tortoni: der "Submarino" 
- ein Riegel Zartbitterschokolade auf Tauchgang in heißer Milch
 

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